Einleitung
Ich stehe kurz vor meinem 42. Geburtstag. Ich würde mich nicht als alt bezeichnen. Aber
auch nicht als jung. Mittelalt vielleicht. Ich blicke auf viele Erfahrungen zurück und
gleichzeitig denke ich, dass noch Einiges vor mir liegt.
Was ich schon merke und worüber ich mir Gedanken mache: Der Körper macht nicht
mehr alles mit, was er früher mitgemacht hat. Das stelle ich bei mir fest und bei meinen
Spielpartnern.
Heute mache ich mir Gedanken darüber was die körperlichen Einschränkungen – egal ob
wegen des Alters, Verschleiß, Gebrechlichkeit, Erkrankungen oder Verletzungen – im
Zusammenhang mit BDSM bedeuten.
Das Alter
Gerade den 18. Geburtstag gefeiert und kurze Zeit später geht der Verfall los. In den 20er-
Jahren bemerkt man noch nicht so viel davon, aber ab 30 wird alles anstrengender.
Denken wir nur mal an die Erholungszeit nach einer Partynacht. Kein Vergleich zur
Jugend. Mit zunehmendem Alter kommen immer mehr Wehwehchen hinzu. Das Knie
schmerzt, im Rücken zieht es und die Augen haben auch schon mal schärfer gesehen.
Behinderungen und Erkrankungen
Vor ein paar Jahren habe ich den ersten Spielpartner gehabt, der mir im Vorfeld offen
seine Behinderung offenbart hat. Aufgrund seiner Einschränkung notwendig. Er leidet
unter Muskelschwund und kann bestimmte Bewegungen nicht ausführen. Längere
Fesselungen ohne Bewegung sind nicht möglich. Trotzdem fand er Gefallen an der Rolle
des Sklaven und wollte seine damit verbundenen Vorlieben ausleben. Wir haben seitdem
einige Sessions und eine Menge Spaß miteinander gehabt.
Schon etwas länger ist es her, dass ich mich mit einem Sklaven getroffen habe, der an
Morbus Crohn erkrankt ist. Das ist eine chronische Erkrankung des Magen-Darm-Traktes,
bei der es zu Entzündungen in unterschiedlichen Abschnitten des Verdauungsapparates
kommt. Er hatte eine Menge Spaß an analen Spielen, konnte sie häufig aufgrund seiner
Erkrankung nicht ausleben. Bei unseren Treffen mussten wir dies berücksichtigen.
Über 10 Jahre ist es her, dass ich mit dem ersten Kerl eine Session hatte, der mir im
Vorfeld mitgeteilt hat, dass er HIV-positiv ist. Für mich war es kein Hindernis gewesen,
aber er hatte große Sorge davor, wie andere Menschen auf seine Offenbarung reagieren.
Er hat nicht nur gute Erfahrungen gemacht, sondern wurde nach seinem Outing auch
schon abserviert. Mal netter, mal direkter, mal unverschämt. Wir haben uns mehrfach
getroffen und hatten eine gute Zeit zusammen.
Immer wieder hatte ich Treffen mit Menschen, die gerade zu diesem Zeitpunkt
eingeschränkt waren. Beim Sport sich eine Zerrung zugezogen. Heuschnupfen und nun
ist die Nase verstopft. Ausgerechnet an dem Wochenende, wo wir uns treffen, kommt ein
Akneschub und die Haut ist mit Pusteln bedeckt. Vor einem Monat zu einer Session
verabredet und nun ist die Stimmung im Keller, weil jemand eine depressive Phase hat.
Wer eine Einschränkung hat und denkt, er erfüllt nicht die vermeintlichen
Voraussetzungen, der schämt sich, traut sich nicht und verzichtet sogar auf das Ausleben
seiner Vorlieben. Ich finde, niemand sollte sich einschränken. Für jeden Topf gibt es einen
passenden Deckel.
Was hat das alles mit BDSM zu tun?
Die eigenen Kinky-Vorlieben sind keine Phase für die erste Lebenshälfte. BDSM-Vorlieben
dürfen nicht nur Gesunde ausleben. Neigungen können lebenslang Spaß machen und
lassen sich nicht von Krankheiten und anderen Dingen abschalten. An BDSM und
Fetischen kann man auch Spaß haben, wenn man ein Handicap oder eine Erkrankung hat.
Allerdings müssen sich die eigenen Möglichkeiten und Einschränkungen in einer Session
wiederfinden. Voraussetzung dafür ist eine offene und ehrliche Kommunikation der
beteiligten Personen. Es braucht den Mut, seine eigenen Schwächen auszusprechen und
es benötigt das Verständnis des Gegenübers, diese anzunehmen und angemessen zu
berücksichtigen. Gemeinsam kann man herausfinden, was trotzdem geht und
zusammen seinen Spaß haben. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das gut
gelingt. Dann sind es keine Schwächen mehr, sondern man hat nur einen anderen Weg
gefunden, um Spaß zu haben.
Weg vom Makel, hin zur Vielfalt
Jeder einzelne Mensch für sich und auch die Gemeinschaft müssen umdenken. Alle
müssen akzeptieren, dass Menschen unterschiedlich sind und die meisten den
vorgespielten Pornofantasien nicht entsprechen können. Weder von der Optik noch von
ihren körperlichen Möglichkeiten.
Für mich als Master im BDSM-Spiel heißt das, dass ich mich vor einer Session bei
meinem devoten Gegenüber informieren muss. Ich frage konkret nach Einschränkungen
und was sie für eine Session bedeuten und wie ich damit umzugehen habe. Denn die
Person, die eine Einschränkung hat, kann am besten sagen, was geht und was nicht.
Für mein Gegenüber heißt das, offen und ehrlich zu mir zu sein. Das ist eine
Herausforderung, weil es womöglich Angst vor Ablehnung und Unverständnis gibt.
Weil ich weiß, dass nicht alle offen sein können, bin ich in Sessions aufmerksam und
achte auf die Reaktionen meiner Spielpartner*innen.
Erneut wird deutlich, dass Kommunikation das A und O beim BDSM ist.
Was heißt das konkret für Sessions?
Ich erzählte eben von dem Spielpartner, der an Muskelschwund leidet. Bei ihm ist es
wichtig, dass Muskeln nicht zu sehr überdehnt werden. Ebenso muss er sich regelmäßig
in kürzeren Abständen bewegen können, damit seine Muskeln nicht schmerzen und
verkrampfen. Das bedeutet, dass ich bei Fesselungen für Bewegungsmöglichkeiten
sorgen muss oder Fesselungen in der gleichen Position nicht zu lange andauern dürfen.
Einen älteren Sklaven kann ich nicht zu lange vor mir auf dem Boden Knien lassen, wenn
er entsprechende Beschwerden hat.
Ist jemand an Diabetes erkrankt, muss ich ihn genau beobachten. Je nach Situation muss
der Blutzuckerspiegel gemessen werden und darauf reagiert werden. Muss die Person
etwas Essen oder Trinken? Muss vielleicht Insulin zugeführt werden?
Viele Erkrankungen erfordern die Einnahme von Medikamenten. In einer Session muss
dies berücksichtigt werden. Manche Medikamente müssen zu einer bestimmten Uhrzeit
eingenommen werden. Andere Medikamente müssen zusammen mit einer Mahlzeit
eingenommen werden. Eine Session muss sich danach ausrichten und ich mir zur
Erinnerung einen Wecker im Handy einstellen.
Es gibt Erkrankungen, die erfordern ein Notfallmedikament. Darüber sollte die andere
Person Bescheid wissen. Wann musss es verabreicht werden, wird dabei Hilfe gebraucht,
muss ich etwas beachten?
Berücksichtigen muss ich, wenn jemand eine Seh- oder Hörschwäche hat. Gerade bei
einer Session wird eine Brille oft ausgezogen. Ist dann das Licht noch ein wenig
gedämmt, kann es eine Herausforderung werden etwas zu Sehen. Trägt jemand
Hörgeräte und legt diese für die Session ab, muss ich meine Anweisungen an den
Sklaven lauter aussprechen. Leidet jemand unter Angststörungen, muss ich manche
Stressfaktoren vermeiden, wie beispielsweise zu strenge Fesselungen oder das
Verbinden der Augen.
Wie gehe ich mit einem Menschen um, der eine Lähmung hat? Wie kann ich jemanden
Fesseln, der Spastiken hat? Worauf muss ich Rücksicht nehmen, wenn mein Gegenüber
eine psychische Erkrankung hat?
Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen.
Noch einmal: Wichtig ist die gemeinsame Kommunikation. Keine Scham haben, sondern
offen und ehrlich sein. Und dann den Mut haben, Dinge auszuprobieren, kreativ zu sein.
Etwas anders zu machen als sonst.
Ich bin offen und lasse mich auf andere Menschen mit ihren Besonderheiten ein.
Zum Abschluss wünsche ich euch eine Menge Spaß beim Experimentieren und Ausleben
eurer Sexualität.